Psychologische Sicherheit in der Veränderung
Stellt euch vor, in einer Organisation wird beschlossen einen neuen Weg einzuschlagen und mindestens eine Person sagt: “Wir müssen aber wirklich alle mitnehmen!”
Metaphorisch betrachtet, könnte dies bedeuten, dass Entscheidungsträger*innen ihre Teammitglieder sammeln – manche werden auf die Schultern genommen, andere an der Hand geführt – und dann geht es los. Dieses Bild, obwohl es Zusammenarbeit suggeriert, wirft Fragen der Autonomie und der Beteiligung auf. Es wirft zudem die ganz zentrale Frage auf:
Wollen die Mitglieder der Organisation den Weg gemeinsam gehen oder sollten nicht eher alle befähigt werden, sich selbst auf die Reise zu machen?
Rogers' Diffusionstheorie und ihre Bedeutung für die Organisationsentwicklung
Everett Rogers, ein Pionier in der Kommunikationswissenschaft, entwickelte die Diffusionstheorie, die erklärt, wie, warum und mit welcher Geschwindigkeit neue Ideen und Technologien in einer Kultur verbreitet werden. Übertragen auf die Organisationsentwicklung heißt das: Unsere geplante Veränderung wird zu einem "Produkt", das von der "Markt"-Gemeinschaft unserer Organisation adoptiert werden soll. Rogers unterteilt den Markt je nach Innovationsbereitschaft in fünf Segmente: Innovator*innen (Innovators), frühe Anwender*innen (Early Adopters), frühe Mehrheit (Early Majority), späte Mehrheit (Late Majority) und Nachzügler*innen (Laggards). Diese Segmente bilden zusammen eine Normalverteilung, die den Diffusionsprozess von Innovationen abbildet.
Der psychologische Aspekt von Sicherheit in Veränderungsprozessen
Hier ergänzen wir den Diskurs um den entscheidenden Aspekt der psychologischen Sicherheit. In einem Umfeld, das Veränderung durchläuft, ist es von unschätzbarem Wert eine Kultur zu etablieren, in der Teammitglieder sich sicher fühlen, Ideen und Bedenken auszudrücken. Diese Sicherheit trägt wesentlich dazu bei, dass auch skeptischere Teammitglieder, wie die späte Mehrheit und die Nachzügler*innen, sich gegenüber der Veränderung aufgeschlossener zeigen. Sie äußern ihre Bedenken auf eine annehmbare Art und Weise, sodass tatsächlich ein Gespräch über diese stattfinden kann. Dabei ist zunächst unerheblich, ob sie überzeugt werden können oder nicht — entscheidend ist, dass das Umfeld und die Kultur ihnen Gehör verschafft.
Die Segmente bzw. Übernahmeeinheiten, die Rogers definiert, profitieren alle von einem Umfeld der psychologischen Sicherheit. Innovator*innen und frühe Anwender*innen, die oft als Meinungsführer*innen agieren, können in einer solchen Kultur ihre innovativen Ideen ohne Furcht vor Zurückweisung teilen. Die frühe und späte Mehrheit sowie die Nachzügler*innen sind eher bereit, zuzuhören und sich ggf. neuen Ideen zu öffnen, wenn sie sehen, dass ein sicherer Raum für Dialog und Lernprozesse besteht.
Die Adoption unter dem Blickwinkel der psychologischen Sicherheit
In allen Phasen einer Veränderung ist es entscheidend, dass die Mitglieder der Organisation erfahren, dass ihre Stimme zählt und dass ihre Beiträge wertgeschätzt werden. Dies fördert nicht nur die individuelle Akzeptanz der Veränderung, sondern stärkt auch das kollektive Engagement für den Veränderungsprozess.
Dabei ist allerdings zu beachten: Es geht darum einen Raum zu schaffen, in dem einander zugehört wird, in dem Ideen entstehen und im Raum stehen dürfen. Es geht aber auch darum, sich in Bezug auf Veränderungsmaßnahmen vor allem auf diejenigen zu konzentrieren, die sich aktiv an der Veränderung beteiligen wollen und diese entsprechend zu befähigen. Die hinteren Segmente brauchen Gehör und Raum, dürfen die Veränderung aber nicht gezielt verhindern oder stark ausbremsen. Dies kann nur gelingen, wenn die Kultur und das Umfeld einen psychologisch sicheren Raum bieten, in dem alle Perspektiven erst einmal ohne Wertung sein dürfen.
Die Veränderung, die auf eine solche Art und in diesem Umfeld entstehen kann, erlangt hierdurch Tiefe. Während organisatorische, strukturelle und prozessuale Veränderungen Schritt für Schritt durch- und eingeführt werden, verändert sich gleichzeitig die Kultur — psychologische Sicherheit wächst und gewinnt an Stärke.
Ein inklusiver Ansatz für organisatorische Veränderungen
Aus dem Vorangegangenen wird deutlich, dass die Metapher des "Mitnehmens" in der Veränderung durch einen Ansatz ersetzt werden sollte, der auf psychologischer Sicherheit, Inklusion und Eigenverantwortung der Teammitglieder aufbaut. Ein solcher Ansatz ermutigt alle, sich aktiv am Veränderungsprozess zu beteiligen, fördert Innovation und unterstützt eine erfolgreiche Transformation. Indem wir in den Grundprinzipien der Organisationsentwicklung auf psychologische Sicherheit fokussieren, können wir eine Kultur schaffen, die nicht nur Veränderungen unterstützt, sondern auch das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Teammitglieder fördert. Wir sollten also von Anfang an darüber nachdenken, welche Möglichkeiten wir bieten, Gespräche über Bedenken zu führen, wie wir es schaffen, diese nicht sofort ausräumen zu wollen, sondern sie erst einmal aufzunehmen, zu verstehen und einfach sein zu lassen.
Denn jede noch so kleine Veränderung von Vorgehensweisen und Prozessen verändert auch die Kultur. Und dann sollten wir sie doch aktiv nutzen.
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