Teamdynamik und Leistungsfähigkeit

"Unabhängig davon, was wir entdecken werden, verstehen und glauben wir aufrichtig, dass in der gegebenen Situation, mit dem verfügbaren Wissen und Ressourcen und unseren individuellen Fähigkeiten, jeder sein Bestes getan hat."

Diese Aussage fasst die sogenannte oberste Direktive als Leitlinie oder goldene Regel zusammen, die besonders in Retrospektiven zur Anwendung kommt. Doch das Befolgen dieser Regel bedeutet nicht, dass wir nicht gelegentlich innehalten und reflektieren sollten: Sind wir mit unserer Teamleistung zufrieden? Wenn nicht, was fehlt uns? Und was können wir persönlich in unserer jeweiligen Rolle beitragen, sei es als Teammitglied, Führungskraft oder Scrum Master*in?

Die Sozialpsychologie beleuchtet verschiedene Phänomene, die in Teams und Gruppen leistungssteigernd oder -mindernd wirken können.

Vorteile der Teamarbeit

Teamarbeit ist nicht die Lösung für jede Aufgabe. Es können sogenannte “Prozessgewinne” und “Prozessverluste” beobachtet werden. Der Begriff "Prozessgewinne" bezieht sich dabei auf den Leistungszuwachs, der sich ergibt, wenn Aufgaben im Team statt individuell bearbeitet werden. Dies umfasst Szenarien, in denen Teammitglieder sich gegenseitig motivieren, inspirieren und voneinander lernen.

Soziale Kompensation

Eine Möglichkeit eines Prozessgewinns durch Teamarbeit ist die soziale Kompensation.

In gewissen Situationen neigen Menschen dazu, sich in Teams oder Gruppen über das normale Maß hinaus anzustrengen. Besteht ein Team aus Mitgliedern unterschiedlicher Leistungsfähigkeit, können die stärkeren Mitglieder sich mehr anstrengen, um die Schwächen der anderen auszugleichen. Dieses Phänomen nennt sich dann soziale Kompensation. Es tritt jedoch nur auf, wenn die Bedeutung des Teamergebnisses für die Einzelnen erkennbar ist. D.h., nur wenn Individuen das Ziel des Teams oder der Aufgabe als persönlich wichtig erachten, sind sie bereit, ihre Anstrengungen zu steigern.

Zudem muss die Aufgabenstellung so gestaltet sein, dass die individuellen Beiträge nicht direkt erkennbar sind. Ist am Ende klar, wer wie viel beigetragen hat, sinkt die Wahrscheinlichkeit für soziale Kompensation im Team.

Das Gefühl der Unersetzlichkeit

Bei der sozialen Kompensation steigern leistungsfähigere Teammitglieder ihre Leistung. Es können jedoch auch die weniger leistungsfähigen Mitglieder eine Leistungssteigerung erfahren, wenn sie ihren Beitrag als unersetzlich für das Gruppenergebnis ansehen. Besonders bei Aufgaben, bei denen das Team nur so stark ist wie sein schwächstes Glied, entsteht ein Gefühl der Unersetzlichkeit.

Das Zusammenspiel von sozialer Kompensation und Unersetzlichkeit

Forschungen zeigen, dass beide Phänomene der Leistungssteigerung auch gemeinsam auftreten können. Dies geschieht besonders dann, wenn ein Teamziel von großer Bedeutung für die Mitglieder ist. Diese Bedeutung motiviert alle Beteiligten und ist insbesondere dann gegeben, wenn das Team attraktiv erscheint, eine starke Kohäsion aufweist und die Mitglieder einander sympathisch sind.

Herausforderungen in der Teamarbeit

Ein Leistungszuwachs kann erzielt werden, wenn individuelle Beiträge innerhalb des Teams nicht direkt zurechenbar sind. Jedoch kann dies auch zu einer geringeren Motivation und Anstrengung führen.

Das Phänomen des sozialen Faulenzens

Übersicht Definition und wichtigste Faktoren zum sozialen Faulenzen

Das soziale Faulenzen beschreibt eine Leistungsreduktion, weil der individuelle Beitrag nicht sichtbar oder nicht zuordenbar ist: Die eigene Leistung verschmilzt anonym mit der der anderen. Ob ein Team Prozessgewinne durch soziale Kompensation und/oder das Gefühl der Unersetzlichkeit erzielt oder ob es hingegen zu Leistungsverlusten kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Faktoren, die soziales Faulenzen beeinflussen

Die Art der Motivation spielt eine entscheidende Rolle beim Entstehen oder Verhindern von sozialem Faulenzen. Aufgaben, die aus eigenem Antrieb und Interesse angegangen werden, mindern das Risiko sozialen Faulenzens, da die Teammitglieder intrinsisch motiviert sind. Aufgaben, die aus externen Motiven angegangen werden, wie zum Beispiel aufgrund von Belohnungen oder Druck, führen eher zum sozialen Faulenzen, es sei denn, die individuellen Leistungen der Teammitglieder werden genau überwacht und bewertet.

Teams, die sich stark mit den Zielen und der Mission identifizieren, sind weniger anfällig für soziales Faulenzen. Eine tiefe Identifikation mit dem Team fördert vielmehr den Leistungswillen und motiviert die Mitglieder, ihr Bestes für die Zielerreichung zu geben.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Schwierigkeit der Aufgabe. Einfache Aufgaben oder solche, die keine besonderen Fähigkeiten erfordern, begünstigen soziales Faulenzen. Schwierigere Aufgaben hingegen können die Motivation steigern, da im Teamkontext weniger der individuelle Beitrag, sondern vielmehr das Gesamtergebnis im Vordergrund steht.

Varianten des sozialen Faulenzens: Trittbrettfahren und der Gimpel-Effekt

Soziales Faulenzen kann in Formen wie Trittbrettfahren auftreten, wenn das Engagement der Einzelnen unwichtig erscheint. Das Teammitglied reduziert daraufhin Motivation und Einsatz. Dies kann jedoch verhindert werden, indem die Bedeutung jedes Einzelbeitrags zum Teamergebnis klar kommuniziert wird. Kleineren Teams fällt es zudem leichter, das Engagement der Mitglieder zu fördern.

Definition und Faktoren des Gimpel Effekts

Der Gimpel-Effekt beschreibt eine Leistungsreduktion, die entsteht, wenn man den Eindruck hat, mehr zu leisten als andere. Dieses Gefühl basiert auf subjektiver Wahrnehmung und nicht auf der objektiven Realität. Das Bewusstsein über das Engagement der anderen kann dieses Phänomen reduzieren.

Relevanz für die Teamentwicklung

Ein umfassendes Verständnis der Teamdynamiken und gezielte Maßnahmen zur Förderung positiver Effekte sind essenziell für die erfolgreiche Teamentwicklung. Verhaltensweisen, die wir beobachten, sind lediglich Indikatoren, deren Interpretation Hypothesen sind. Die direkte Kommunikation und die Schaffung einer offenen Kultur, in der Gedanken und Bedenken geäußert werden können, sind grundlegend für effektive Teamarbeit. Darüber hinaus sind folgende Aspekte wichtig:

  • Ziele und Verantwortlichkeiten klar definieren und kommunizieren, um Transparenz über die Bedeutung individueller Beiträge zu schaffen.

  • Regelmäßiges Feedback, um Stärken und Kompetenzen zu fördern und gezielt einzusetzen.

  • Die Förderung kritischen Denkens und intensiver Auseinandersetzung mit Themen durch spezifische Methoden wie Brainstorming und die Rolle des Advocatus Diaboli.

  • Explizite Anerkennung individueller Leistungen neben der Wertschätzung von Teamerfolgen, um sowohl die intrinsische Motivation zu fördern als auch den Beitrag des Einzelnen sichtbar zu machen.

Mit diesen Ansätzen kann die aufrichtige Teamzusammenarbeit gestärkt und die Gesamtleistung verbessert werden.


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